Im TC Hiddenhausen wird Inklusion schon seit Jahren gelebt. Sebastian Schäffer ist von Geburt durch eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (nahezu) gehörlos, als Kind hörender Eltern ist er allerdings nie auf eine spezielle Schule für Hörgeschädigte gegangen, sondern „immer so mitgelaufen“, wie seine Mutter sagt – auch auf dem Tennisplatz. Gehörlosen-Tennis war für den heute 29-Jährigen lange kein Thema: Sein erster Verein war der TC Rödinghausen, zum Tennis ist er als Neunjähriger durch seinen Vater gekommen. Von Gehörlosen-Tennis hatte er bis 2006 selbst als Betroffener noch nichts gehört – eben auch, weil so gut wie gar nicht darüber berichtet wird. Doch es gibt in Deutschland sogar einen Gehörlosen-Tennisverband, losgelöst vom Deutschen Tennis Bund (DTB) und auch eine eigene Olympiade, die Deaflympics, an der Sebastian bisher einmal teilnahm – 2013 im bulgarischen Sofia. Sein erstes internationales Turnier bei den Gehörlosen waren 2010 die US Open, wo er auf Anhieb das Halbfinale erreichte. Die Gehörlosen verstehen sich nicht als Menschen mit Behinderung, sondern als Menschen mit einer anderen Kommunikation, wie Sebastian betont. Allerdings haben sie – je nach dem Grad ihres Hörvermögens, von einer leichten Schwerhörigkeit bis hin zur Taubheit – mit Hörbeeinträchtigungen zu kämpfen. Wer eine um mindestens 55 Prozent reduzierte Hörleistung auf einem Ohr hat, darf bei den Gehörlosen starten. Man muss aber auch in einem Gehörlosensportverein Mitglied sein. Sebastian liest seinem Gegenüber von den Lippen ab, kann mithilfe seiner Hörgeräte aber einigermaßen Stimmen/Geräusche wahrnehmen. Auf dem Platz gab es deshalb mit seinen Gegnern bisher keine Probleme, allerdings schwitzt er ziemlich viel und da kann das Hörgerät auch schon mal stören. Seine Mannschaftskollegen unterstützen ihn, wo sie können, und auch seine Gegner helfen ihm mit Handzeichen. Derzeit schlägt er an der Top-Position in der Bezirksliga für den TC Hiddenhausen auf. Tennis ist seine absolute Leidenschaft, generell macht er jeden Sport, etwas, das für ihn essentiell zum Leben dazu gehört. Genauso wie sich auf Wettkämpfen zu messen. „Das gibt ihm Selbstvertrauen“, sagt seine Mutter, „dadurch hat er gelernt, sich immer wieder neuen Anforderungen zu stellen.“ Der Bünder ist viel in Deutschland auf Turnieren, als Nummer eins der Gehörlosen in Deutschland – Sebastian schlägt für die Gehörlosen Bergfreunde München (GBF München) auf – ist er zudem für seinen Verband auf internationalen Events wie der Weltmeisterschaft, die ab 20. Juli wieder für eine Woche ansteht, unterwegs. Diesmal fliegt er als einer von drei für das Nationalteam nominierten Herren ins schottische Nottingham und will zum ersten Mal eine Medaille im Einzel holen. Bisher reichte es „nur“ zur Vize-Mannschafts-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr mit dem deutschen Team in Chattanooga (Tennessee/USA). Ein Grund, warum es nicht zum ganz großen Coup gereicht hat, sind wie in vielen anderen Randsporten auch das fehlende Medieninteresse und die damit ausbleibenden Sponsoren. Der deutsche Gehörlosen-Tennisverband ist damit zum permanenten Sparen verdammt, somit werden stets so wenig Spieler wie möglich in den Nationalkader berufen, was sich auf die Erholungspausen auswirkt. In der Türkei im Jahr 2011 bei Sebastians erstem Einsatz im Nationalteam war das wohl der ausschlaggebende Punkt für die Silber- und gegen die Goldmedaille. Denn das entscheidende Doppel mussten die Deutschen aufgeben, da Sebastian bei Temperaturen um die 40 Grad einen Hitzeschlag erlitt und ins Krankenhaus musste. „Ich war so gut wie ausgetrocknet“, sagt Sebastian. „Eigentlich hätte er gar nicht mehr spielen dürfen“, sagt seine Mutter, „aber so ist das, wenn zu wenig Leute da sind.“ Zu den vielen Unwägbarkeiten, mit denen Gehörlosen-Spieler zu kämpfen haben, gehört auch, das Gleichgewicht auf dem Platz zu halten, da unser Ohr als Organ auch für den Gleichgewichtssinn zuständig ist. Damit hat Sebastian allerdings keine Probleme, dafür hat er auf seinem Level ein paar andere Herausforderungen zu bewältigen. Bei Bällen, insbesondere bei Aufschlägen, die schnell auf ihn zukommen, kann er nicht am Klang erkennen, welches Tempo der Schlag hat, kann also nicht heraushören, ob der Ball mit Rückwarts- oder Vorwärtsdrall geschlagen wurde. Da es unter den Gehörlosen ein unterschiedliches Maß an Gehörverlust gibt, dürfen auf Wettbewerben keine Hörgeräte getragen werden. Bei den Deaflympics hatte einer seiner Doppelgegner aus Ecuador vergessen, sein Hörgerät herauszunehmen und damit den Platz betreten. Normalerweise wäre er dafür sofort disqualifiziert worden, aber Sebastian und sein Partner Thomas Meiler ließen sich vom olympischen Gedanken inspirieren und traten trotzdem an. Die Spieler aus Ecuador bekamen eine gelbe anstelle einer roten Karte, bei einer Disqualifikation hätte ihnen die Streichung der Unterstützung ihrer Regierung gedroht. Am Ende gab es zwar für die Deutschen zwar nur Blech statt Edelmetall, aber aufgrund ihrer sportlichen Geste wurden sie von ihrem Verband für die Fairplay-Medaille nominiert. Auch wenn Sebastian schon ziemlich erfolgreich ist, beim TC Rödinghausen spielte er einige Zeit in der Westfalenliga, ist es für ihn nicht so leicht, Unterstützer zu finden. Sein Verein, der TC Hiddenhausen, hat ihn stets auf seinem Weg begleitet und ihm Vieles ermöglicht. Sebastian ist übrigens nicht der erste gehörlose Tennisspieler in der Geschichte des Vereins. „Für einen Tennisverein ist es nicht schwierig, sich auf einen Sportler mit diesem Handicap einzustellen. Die Trainer gehen einfach etwas näher ran und wenn sich Sebastian einmal an eine Lippe gewöhnt hat, dann funktioniert das ganz schnell“, erklärt Elke Rose, 1. Vorsitzende des TC Hiddenhausen. Im vergangenen Jahr war der Bünder erstmals beim Mixed Dream Team Cup in Marienfeld im Kreis Gütersloh am Start und erreichte mit seiner Partnerin Kira Kastigen (Blau-Weiss Halle) prompt das Finale. Dort mussten sich die beiden den Seriensiegern Mirja Mittelhäuser und Christian Miele (Oelder TC Blau-Weiß) beugen. Dennoch ging Sebastian als Gewinner aus der Partie. Denn seitdem hat er seinen ersten Schläger-Vertrag, den ihn Miele als Geschäftsführer von Tennis-Point vermittelt hat. Somit kann er die Kosten für Schläger künftig in Turnierreisen, selbst bei der WM ist pro Tag ein Eigenanteil fällig, oder in Taschengeld fürs Trainingslager investieren. Trainingslager stehen in diesem Jahr nämlich gleich zwei an, eins mit der Nationalmannschaft und eins mit seinem Verein. Mittlerweile ist Sebastian als Nummer fünf der Weltrangliste auch Werbeträger für Gehörlosen-Tennis, war schon auf Plakaten einer bundesweiten Kampagne einer großen Krankenkasse zu sehen. Dennoch ist Tennis für ihn nur ein Hobby, zwar ein sehr zeitintensives, aber davon leben kann er nicht. Er geht einem geregelten Job nach. Seinen Eltern war es sehr wichtig, dass er erst einmal eine Ausbildung macht, bevor er auf Tennisturnieren durch die Welt tingelt. Also hat er Koch in einer Großküche gelernt. Derzeit arbeitet er mit anderen Behinderten zusammen in einer Einrichtung der Lebenshilfe namens „Catering und mehr“ in Oldentrup bei Bielefeld. Während seiner Ausbildung arbeitete er in einer kleinen Restaurant-Küche in Löhne, wo es ihm aber aufgrund seiner Hörschädigung zu wuselig und damit zu stressig war: „Dort passiert ja viel auf Zuruf und das habe ich dann manchmal nicht so schnell verstanden.“ Zudem sind die Uhrzeiten in einer Großküche arbeitnehmerfreundlicher als in einer Restaurantküche. Am Wochenende hat Sebastian frei, was ihm und seinem Sport sehr entgegen kommt. Dann kann er rund um die Uhr mit seinen Mannschaftskollegen abhängen, seine Mitspieler und er unternehmen nämlich auch außerhalb der Spiele viel gemeinsam. Seine Teamkollegen haben auch schon einmal eine Trainingseinheit mit Ohrenstöpseln gespielt, um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie es Sebastian auf dem Platz ergeht. „Alle waren sich einig, dass es ein anderes Spiel ist. Ganz anders“, sagt Elke Rose. Sebastian sieht aber auch gewisse Vorteile in seiner Hörminderung: „Man wird nicht vom Klatschen oder anderen Geräuschen abgelenkt und kann sich besser auf das Spiel konzentrieren.“ Über Inklusion wird viel geredet und viel geschrieben, beim TC Hiddenhausen ist Inklusion allerdings mehr als ein Wort, sondern wird fortwährend gelebt – nicht zuletzt dank des Engagements der Vereinsmitglieder.
Quelle: www.wtv.de Stand: 22.04.15